Wie zwei junge Griechinnen der Trübsal trotzen – und anderen helfen, die Rezession zu meistern.
Der Weg zu Maria und Panagiota Vlachou führt in ein Krisengebiet. Verlassene Lagerhäuser, Schrotthalden, aufgegebene Werkstätten säumen den schmalen Weg, der am Stadtrand von Korinth vom Meer herauf in die Hügel führt. Rostige Getreidesilos und die Ruine einer Mühle ragen in den grauen Novemberhimmel. In dieser trostlosen Gegend, wo der Niedergang eines ganzen Landes zu besichtigen ist, suchen Woche für Woche Dutzende Griechen Hoffnung. Sie wollen einen neuen Start wagen. Und die Vlachou-Schwestern sollen ihnen dabei helfen.
"Die Schneckenköniginnen" nennt man sie. Die Schneckenzucht ist ein neues Geschäftsmodell in der Landwirtschaft, seit der Anbau von Tabak, Baumwolle oder Oliven wegen ausbleibender Subventionen bald nichts mehr abwirft. Maria und Panagiota ("Penny") Vlachou führen den Besucher hinter das Gebäude. Was wie ein Feld voller Unkraut aussieht, ist ein Schneckenparadies: Abertausende, kleine und große, bevölkern scheinbar reglos das Blattwerk, das hier aus dem Boden sprießt. Netze hindern die Tiere daran, im Schneckentempo das Weite zu suchen, eine Sprinkleranlage hält sie bei Laune. "Schnecken mögen Regen", erklärt Maria.
Eigentlich beginnt diese Geschichte am Nikolaustag 2006 in einem französischen Restaurant in Zürich. Maria Vlachou, eine weitgereiste Philologin, die neun Sprachen spricht und zu der Zeit in Brüssel als Übersetzerin arbeitet, diniert gerade, als das Handy klingelt: Es ist ihre Schwester Penny aus Korinth. "Ich habe gerade Schnecken bestellt", sagt Maria, "die Portion für 38 Franken." Einen Augenblick herrscht Funkstille am Ohr. Dann sagt Penny: "Vielleicht sollten wir Schnecken züchten... ?"
Die fixe Idee war geboren. Sie lässt die Schwestern nicht mehr los. Penny geht ins Internet, liest alles, was sie über Schneckenzucht erfahren kann. Dann reisen die beiden nach Cherasco im Piemont, Italiens Hauptstadt der Schnecken. Sie belegen Kurse am Institut für Schneckenzucht. Im April 2007 machen Maria und Penny ihren ersten Businessplan.
Noch gibt es Lehman Brothers, noch ist von der heraufziehenden Krise nichts zu spüren. Die beiden ahnen nicht, dass ihr Geschäftsmodell drei Jahre später zum Hoffnungsschimmer für viele Landsleute werden wird. Es ist ein pfiffiger Plan, den Maria und Penny entwerfen: Sie bringen anderen bei, wie man Schnecken züchtet, liefern Knowhow und Ausrüstung. Im Gegenzug kaufen sie den Züchtern ihre Schnecken zu vorab vereinbarten Preisen ab und vermarkten sie international – ein Franchisesystem. 70 Prozent gehen in den Export, Hotels, Restaurants und Feinkostläden in Europa, einen Teil der Produktion verarbeiten sie in ihrer Firma Fereikos-Helix selbst zu Konserven.
"Mit sieben Vertragsabschlüssen hatten wir im ersten Jahr gerechnet, aber es wurden 20, im Jahr danach bereits 78, und heute haben wir Verträge mit 168 Schneckenfarmen." Und es werden ständig mehr. Jede Woche kommen hundert Interessenten nach Korinth. Leute wie Nikos (25). Er ist an diesem Tag von der Insel Euböa nach Korinth gefahren. In einem kleinen Konferenzraum verfolgt Nikos eine einstündige Powerpointpräsentation. Er hat seine Eltern mitgebracht. Die Familie betreibt ein kleines Hotel auf Euböa. "Noch läuft das Geschäft einigermaßen, auch weil wir die Zimmerpreise gesenkt haben, aber wir wollen vorsorgen und uns in der Krise ein zweites Standbein schaffen", sagt der Vater.
Anfangs waren es vor allem Landwirte, die sich interessierten. "Inzwischen kommen immer mehr junge Leute aus den Großstädten, die ihre Jobs verloren haben", berichtet Penny. Viele machen sich allerdings Illusionen: "Sie träumen von schnellem Reichtum und wissen nicht, dass schwere Arbeit auf sie wartet".
Die Schwestern bieten neben kostenlosen Seminaren deshalb auch Schnupperpraktika. Da scheidet sich die Spreu vom Weizen: "Von 100 Interessenten springen 99 wieder ab", sagt Maria. Wer dabei bleibt, die Arbeit nicht scheut und ein Jahr finanziell überbrücken kann, das bis zur "Ernte" der ersten Schnecken vergeht, kann von Schneckenzucht leben. Für ein Kilo Schnecken kann der Züchter rund 3,80 Euro erlösen. Ein Hektar bringt 30 000 Euro im Jahr", rechnet Maria vor.
Der Start ist allerdings inzwischen schwieriger als früher. Die Banken geben keine Kredite mehr. "Auch wir werden von der Krise gebremst", sagt Maria. Ihr neues Gebäude am Stadtrand, früher eine Molkerei, haben sie mit jenen 50 000 Euro gekauft, die Maria und Penny 2011 gewonnen haben: einen Preis, den Easyjet-Gründer Stelios Haji-Ioannou für junge Unternehmer stiftet. "Aber auch wir wachsen nur noch im Schneckentempo."
Immerhin haben die Schwestern niemanden entlassen müssen, sie haben jetzt sogar drei neue Stellen ausgeschrieben – und arbeiten an der nächsten Geschäftsidee: eine Kette von Feinkostläden im Ausland, die außer Schnecken auch Gewürze, Oliven, Marmelade, Käse und andere Biodelikatessen Griechenlands verkaufen. Maria weiß auch schon, wo sie den ersten Laden eröffnen will: in Berlin.
Quelle : Badische Zeitung
Schneckenköniginnen: Maria und Penny mit zwei Tieren Foto: Höhler
Der Weg zu Maria und Panagiota Vlachou führt in ein Krisengebiet. Verlassene Lagerhäuser, Schrotthalden, aufgegebene Werkstätten säumen den schmalen Weg, der am Stadtrand von Korinth vom Meer herauf in die Hügel führt. Rostige Getreidesilos und die Ruine einer Mühle ragen in den grauen Novemberhimmel. In dieser trostlosen Gegend, wo der Niedergang eines ganzen Landes zu besichtigen ist, suchen Woche für Woche Dutzende Griechen Hoffnung. Sie wollen einen neuen Start wagen. Und die Vlachou-Schwestern sollen ihnen dabei helfen.
"Die Schneckenköniginnen" nennt man sie. Die Schneckenzucht ist ein neues Geschäftsmodell in der Landwirtschaft, seit der Anbau von Tabak, Baumwolle oder Oliven wegen ausbleibender Subventionen bald nichts mehr abwirft. Maria und Panagiota ("Penny") Vlachou führen den Besucher hinter das Gebäude. Was wie ein Feld voller Unkraut aussieht, ist ein Schneckenparadies: Abertausende, kleine und große, bevölkern scheinbar reglos das Blattwerk, das hier aus dem Boden sprießt. Netze hindern die Tiere daran, im Schneckentempo das Weite zu suchen, eine Sprinkleranlage hält sie bei Laune. "Schnecken mögen Regen", erklärt Maria.
Eigentlich beginnt diese Geschichte am Nikolaustag 2006 in einem französischen Restaurant in Zürich. Maria Vlachou, eine weitgereiste Philologin, die neun Sprachen spricht und zu der Zeit in Brüssel als Übersetzerin arbeitet, diniert gerade, als das Handy klingelt: Es ist ihre Schwester Penny aus Korinth. "Ich habe gerade Schnecken bestellt", sagt Maria, "die Portion für 38 Franken." Einen Augenblick herrscht Funkstille am Ohr. Dann sagt Penny: "Vielleicht sollten wir Schnecken züchten... ?"
Die fixe Idee war geboren. Sie lässt die Schwestern nicht mehr los. Penny geht ins Internet, liest alles, was sie über Schneckenzucht erfahren kann. Dann reisen die beiden nach Cherasco im Piemont, Italiens Hauptstadt der Schnecken. Sie belegen Kurse am Institut für Schneckenzucht. Im April 2007 machen Maria und Penny ihren ersten Businessplan.
Noch gibt es Lehman Brothers, noch ist von der heraufziehenden Krise nichts zu spüren. Die beiden ahnen nicht, dass ihr Geschäftsmodell drei Jahre später zum Hoffnungsschimmer für viele Landsleute werden wird. Es ist ein pfiffiger Plan, den Maria und Penny entwerfen: Sie bringen anderen bei, wie man Schnecken züchtet, liefern Knowhow und Ausrüstung. Im Gegenzug kaufen sie den Züchtern ihre Schnecken zu vorab vereinbarten Preisen ab und vermarkten sie international – ein Franchisesystem. 70 Prozent gehen in den Export, Hotels, Restaurants und Feinkostläden in Europa, einen Teil der Produktion verarbeiten sie in ihrer Firma Fereikos-Helix selbst zu Konserven.
"Mit sieben Vertragsabschlüssen hatten wir im ersten Jahr gerechnet, aber es wurden 20, im Jahr danach bereits 78, und heute haben wir Verträge mit 168 Schneckenfarmen." Und es werden ständig mehr. Jede Woche kommen hundert Interessenten nach Korinth. Leute wie Nikos (25). Er ist an diesem Tag von der Insel Euböa nach Korinth gefahren. In einem kleinen Konferenzraum verfolgt Nikos eine einstündige Powerpointpräsentation. Er hat seine Eltern mitgebracht. Die Familie betreibt ein kleines Hotel auf Euböa. "Noch läuft das Geschäft einigermaßen, auch weil wir die Zimmerpreise gesenkt haben, aber wir wollen vorsorgen und uns in der Krise ein zweites Standbein schaffen", sagt der Vater.
Anfangs waren es vor allem Landwirte, die sich interessierten. "Inzwischen kommen immer mehr junge Leute aus den Großstädten, die ihre Jobs verloren haben", berichtet Penny. Viele machen sich allerdings Illusionen: "Sie träumen von schnellem Reichtum und wissen nicht, dass schwere Arbeit auf sie wartet".
Die Schwestern bieten neben kostenlosen Seminaren deshalb auch Schnupperpraktika. Da scheidet sich die Spreu vom Weizen: "Von 100 Interessenten springen 99 wieder ab", sagt Maria. Wer dabei bleibt, die Arbeit nicht scheut und ein Jahr finanziell überbrücken kann, das bis zur "Ernte" der ersten Schnecken vergeht, kann von Schneckenzucht leben. Für ein Kilo Schnecken kann der Züchter rund 3,80 Euro erlösen. Ein Hektar bringt 30 000 Euro im Jahr", rechnet Maria vor.
Der Start ist allerdings inzwischen schwieriger als früher. Die Banken geben keine Kredite mehr. "Auch wir werden von der Krise gebremst", sagt Maria. Ihr neues Gebäude am Stadtrand, früher eine Molkerei, haben sie mit jenen 50 000 Euro gekauft, die Maria und Penny 2011 gewonnen haben: einen Preis, den Easyjet-Gründer Stelios Haji-Ioannou für junge Unternehmer stiftet. "Aber auch wir wachsen nur noch im Schneckentempo."
Immerhin haben die Schwestern niemanden entlassen müssen, sie haben jetzt sogar drei neue Stellen ausgeschrieben – und arbeiten an der nächsten Geschäftsidee: eine Kette von Feinkostläden im Ausland, die außer Schnecken auch Gewürze, Oliven, Marmelade, Käse und andere Biodelikatessen Griechenlands verkaufen. Maria weiß auch schon, wo sie den ersten Laden eröffnen will: in Berlin.
Quelle : Badische Zeitung
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